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Was sind Schreibblockaden?

Mein Fall ist, in Kürze, dieser: Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen.
Zuerst wurde es mir allmählich unmöglich, ein höheres oder allgemeineres Thema zu besprechen und dabei jene Worte in den Mund zu nehmen, deren sich doch alle Menschen ohne Bedenken geläufig zu bedienen pflegen. Ich empfand ein unerklärliches Unbehagen, die Worte "Geist", "Seele" oder "Körper" nur auszusprechen. Ich fand es innerlich unmöglich, über die Angelegenheiten des Hofes, die Vorkommnisse im Parlament oder was Sie sonst wollen, ein Urtheil herauszubringen. Und dies nicht etwa aus Rücksichten irgendwelcher Art, denn Sie kennen meinen bis zur Leichtfertigkeit gehenden Freimut: sondern die abstrakten Worte, deren sich doch die Zunge naturgemäß bedienen muß, um irgendwelches Urtheil an den Tag zu geben, zerfielen mir im Munde wie modrige Pilze.
Es begegnete mir, daß ich meiner vierjährigen Tochter Catarina Pompilia eine kindische Lüge, deren sie sich schuldig gemacht hatte, verweisen und sie auf die Notwendigkeit, immer wahr zu sein, hinführen wollte, und dabei die mir im Munde zuströmenden Begriffe plötzlich eine solche schillernde Färbung annahmen und so ineinander überflossen, daß ich, den Satz, so gut es ging, zu Ende haspelnd, so wie wenn mir unwohl geworden wäre und auch tatsächlich bleich im Gesicht und mit einem heftigen Druck auf der Stirn, das Kind allein ließ, die Tür hinter mir zuschlug und mich erst zu Pferde, auf der einsamen Hutweide einen guten Galopp nehmend, wieder einigermaßen herstellte.
Quelle: Hugo von Hofmannsthal: Ein Brief (auch: Brief des Lord Chandos an Francis Bacon). Erstdruck 1902 in der Zeitung "Der Tag". Abgedruckt in Lesebuch der Jahrhundertwende. Prosa aus den Jahren 1889 bis 1998. Ausgewählt von Klaus Schöffling. Frankfurt am Main: Insel.

Da für StudentInnen in der Regel diese Reitmethode, Blockaden im Denken, Formulieren oder auch Schreiben meist nicht zur Verfügung steht (wer hat schon ein Pferd im Stall des Studentenheims?), kann ersatzweise Rollerblades, ein Fahrrad, ein Motorrad oder ein anderes Fortbewegungsmittel nutzen. Womit haben wir es bei solchen Blockaden zu tun?

Wikipedia sagt: "Eine Schreibblockade kann verschiedene unterschiedlich schwerwiegende Erscheinungsformen haben, manchen Betroffenen fällt es nur schwer, einen Anfang zu finden, andere quälen sich Wort für Wort durch ihre Texte, während ihnen eine mündliche Wiedergabe des Inhalts nicht schwer fällt. Wieder andere werden schon beim Gedanken an die Anfertigung ihrer Arbeit oder beim Anblick ihres Computers oder Bildschirms von körperlicher Übelkeit oder Unruhe befallen, und schaffen es noch nicht einmal, das Schreibprogramm oder ihren Computer zu starten. Die Betroffenen neigen häufig dazu, sogenannte Vermeidungshandlungen durchzuführen, sich also mit derzeit weniger wichtigen Tätigkeiten abzulenken, wie exzessives Aufräumen, Sortieren oder Putzen. Auch das endlose Weitersammeln und Suchen von neuem Material kann eine solche Vermeidungstaktik sein. Das Gegenstück zur Schreibblockade ist der Schreibzwang oder die Schreibwut, eventuell können beide Phänomene aber auch gleichzeitig auftreten."

Der Anspruch, eine besonders beeindruckende, wissenschaftlich klingende Sprache verwenden zu müssen, kann jeden Schreibanfang im Keim ersticken. Dabei liegt die Wissenschaftlichkeit eines Textes nicht in dessen Kompliziertheit, sondern in dessen Klarheit und Strukturiertheit. Ein ästhetischer Anspruch kann in einem späteren Arbeitsschritt, also beim Überarbeiten der Rohfassung, zum Tragen kommen.

Das Formulieren von Ergebnissen und die Produktion eigener Texte gehören wie das Suchen von Lösungsideen dem kreativen Bereich des Denkens an. Zwar schließt wissenschaftliches Schreiben auch technisches Könnens ein - die Kulturtechnik Schreiben, das Fachvokabular, den Umgang mit Schreibmaschine oder PC -, das Formulieren selbst aber ist ein kreativer Akt, der auch in den formalisierten Wissenschaftsdisziplinen noch Individuell-subjektives enthält. Texte werden jedoch nicht nur für die eigene Erbauung oder gar den Dozenten verfaßt, sondern im Hinblick auf eine mögliche kritische Kollegenschaft. Das Produzieren eines Textes ist ein Vorgang, der Zeit braucht, in mehreren Schritten erfolgt und bei dem sich kritisch-analytische Phasen, in denen man überarbeitet, was schon "steht", mit Phasen freier Kreativität, in denen neue "Rohfassungen" entstehen, abwechseln. Das Verfassen einer Seminararbeit oder Diplomarbeit ist daher ein komplexes Unterfangen, das erst durch allmähliche Erfahrungen erlernt werden kann. Man sollte sich immer vor Augen halten: Auch der Dozent stand während seines Studiums einmal vor den selben Problemen!

Wissenschaftliches Schreiben ist in erster Linie ein Handwerk, das sich von allen mehr oder minder gut erlernen läßt. Vor allem hilft dabei zunächst ein genauer Zeitplan. Richten Sie daher Zeitblöcke ein, die nur für das Schreiben bzw. das Arbeiten an Ihrem Schreibprojekt reserviert sind. Gut sind kleine Arbeitseinheiten von höchstens eineinhalb Stunden. Planen Sie auch Pausen, sonstige Verpflichtungen, Freizeit, Belohnungen etc. mit ein und achten Sie darauf, dass Ihr Plan realistisch ist. Manches braucht mehr Zeit, als man denkt - planen Sie deshalb großzügig und lassen Sie "Luft" in Ihrem Plan.

Jeder Student kennt ihn, den Berg an Geschirr, der sich in der Küche türmt, gerade wenn es höchste Zeit ist, mit einer Arbeit für die Universität zu beginnen. Alternativ können es auch die Schuhe sein, die dringend geputzt werden müssen oder der Brief an den Vater für eine Erhöhung der Banküberweisungen - die Ablenkungsmanöver sind gar vielfältig. Im Hintergrund steht dabei immer das selbe Phänomen: die Angst vor dem leeren Blatt - manchmal auch horror vacui genannt ;-)

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Der erste Satz ist der wichtigste,
er kommt nicht aus dem Kopf, sondern aus dem Herzen.
Isabel Allende

Schriftsteller sind kein Vorbild! Zumindest nicht bei ersten Sätzen …

Schließlich will man ja eine Hausarbeit, Seminararbeit und keinen Roman schreiben. Manche Schriftsteller tüfteln am ersten Satz eines Romans er mitunter Jahre. Christoph Ransmayr lässt ihn dabei sickern, verwirft ihn, modelliert ihn neu. Theodor Fontane glaubte, dass der Anfang immer das Entscheidende ist, denn hat man diesen gut getroffen, so muss der Rest mit einer Art von innerer Notwendigkeit gelingen. Als abschreckende Beispiele für kunstvolle Anfänge einige von Christoph Ransmayr:

Und einer von Gabriel García Márquez:

Und der Beginn von Franz Kafkas Erzählung “Die Verwandlung“:

Einer der raffiniertesten Anfänge eines Romans stammt ebenfalls von Franz Kafka. Er leitet den Roman "Der Prozess" mit folgendem Satz ein:

Dieser erste Satz weist auf eine Vorgeschichte hin und verspricht den LeserInnen, im Folgenden ihre Aufklärung zu betreiben. Das trifft auch auf viele wissenschaftliche Arbeiten zu. Kafka hingegen verzichtet bekanntlich in seinem Roman darauf, diese Verleumdung aufzuklären. Vielmehr betreibt er statt Aufklärung immer mehr Verhüllung und endet damit, die LeserInnen in die eigenen Spekulationen über einen möglichen Ausgang zu versetzen. Letztlich enthält dieser erste Satz schon die ganze Geschichte, d.h., er bildet gewissermaßen das Abstract des Romans ;-)

Ähnlich rätselhaft der Beginn von Max Frischs Roman "Stiller"

Der Beginn von Günther Grass? Roman "Der Butt" scheint noch rätselhafter:

Übrigens: Auch letzte Sätze einer Arbeit oder eines Vortrags sollte man sich gut überlegen, wobei es vielleicht vorteilhaft ist, nicht die üblichen Formulierungen zu wählen, sondern seine LeserInnen zu überraschen. Auch das Schreiben von Finalsätzen kann sich als ebenso prekär erweisen wie die Formulierung des ersten Satzes. Der letzte Satz sollte über die Arbeit oder den Vortrag hinaus verweisen, wobei man durchaus auch manches offen lassen kann. Für Finalsätze sind literarische Vorlagen vielleicht eher anregend als für Anfänge:

Manchmal ist eine Schreibblockade für die Leser ein Segen, das wollen wir nicht vergessen.
Marcel Reich-Ranicki

Sobald Sie merken, dass Sie von einer solchen Schreibblockade betroffen sind, heißt es handeln. Geben Sie sich nicht Ihrem Inneren und somit auch Ihrer Angst hin, die Schreibblockade nicht bewältigen zu können. Eine zu große Menge an Arbeit verschreckt und führt unweigerlich zu einer Stagnation statt zu einer Heilung der Schreibblockade. Schreiben ist eine Form der Kreativleistung, weswegen es grundlegend notwendig ist den Kopf im wahrsten Sinne des Wortes „frei“ zu haben. Ist das Thema ausreichend erörtert, oder ein grobes Konzept in Gedanken bestehend, reicht in einigen Fällen schon ein Ortswechsel. Nicht selten kommt es vor dass sich bekannte Wissenschaftler oder Professoren in Ferienwohnungen zurück ziehen um dort in Ruhe und in einer ungewohnten Umgebung arbeiten zu können. Erstellt man einen Plan der ein Ende der Arbeit mit einer genauen Angabe vorsieht, erfolgt die Arbeit oftmals effektiver. Genügt das Wissen um das Ende nicht, ist eine Belohnung nach Abschluss und Anfertigung der Seminararbeit oder der Diplomarbeit sinnvoll. Derartige Belohnungen können Reisen, insbesondere Schiffsreisen, Essen, Kinobesuche oder ähnliche Beschäftigungen sein.

Literaturtipps gegen Schreibblockaden

Becker, H. S. (2000). Die Kunst des professionellen Schreibens. Ein Leitfaden für die Geistes- und Sozialwissenschaften. Frankfurt am Main: Campus.

Keseling, G. (2004). Die Einsamkeit des Schreibers. Wie Schreibblockaden entstehen und erfolgreich bearbeitet werden können. Wiesbaden: Verl. für Sozialwissenschaften.

Kruse, O. (2007). Keine Angst vor dem leeren Blatt. Ohne Schreibblockaden durchs Studium. 12., völlig neu bearb. Aufl. Frankfurt am Main: Campus concret.

Pyerin, B. (2001). Kreatives wissenschaftliches Schreiben. Tipps und Tricks gegen Schreibblockaden. Weinheim: Juventa.


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